Kategorie(n): , , ,

Betrachtungen über das Symbol des 24-zölligen Maßstabes und die Frage nach weiser Zeiteinteilung

Mich fasziniert immer wieder aufs neue die Erklärung der Symbole unseres Arbeitsteppiches während unserer rituellen Arbeit. Die Verbindung zwischen der geistigen und der realen Welt, so wie wir sie erleben, ist mir in der Darstellung der Symbole jedesmal Anstoß, mich gedanklich auf diese Thematik einzustellen. Wenn ich dies tue, empfinde ich während der Tempelarbeit eine wohltuende innere Ruhe und entferne mich von den Geschehnissen des Alltages. Nachfolgend möchte ich euch meine Gedanken in bezug auf die Trennlinie oder auch Verbindungslinie zwischen den Symbolen der realen und der geistigen Welt, dem 24-zölligen Maßstab, näherbringen. Diese Gedanken resultieren aus meinen Überlegungen, Erkenntnissen und Lebenserfahrungen, und sind somit persönlich und individuell und keinesfalls allgemeingültig.

In der Erklärung des Maßstabes heißt es:

„Quer auf dem Wege unseres weiteren Fortschreitens zur Wahrheit liegt der 24-zöllige Maßstab, der uns an die weise Einteilung der Stunden des Tages gemahnt. Gelingt uns diese Einteilung nicht, so ist hier unser Weg zu Ende, und wir müssen bleiben, was wir sind. Nicht alle Menschen haben das gleiche Maß und das gleiche Zeitmaß. Was für den einen gut ist, muß es nicht für den anderen sein. Weise ist unsere Einteilung der Zeit, wenn sie es uns ermöglicht, ständig an unserer Vervollkommnung zu arbeiten. Sie ist es nicht, wenn sie uns daran hindert. Gelingt es aber auch, diese Schwelle zu überschreiten, so sehen wir uns den Symbolen der geistigen Welt gegenüber. Wir betreten einen Bereich, dessen Symbolik den Sonnen-, Licht- und Feuerkulten der Menschheit entstammt.“

Es wird ein klarer Zusammenhang zwischen Weisheit und Zeit formuliert, der offensichtlich von entscheidender Bedeutung für das Erreichen oder Nicht-Erreichen eines Zieles ist. Nur wenn wir weise mit unserer Zeit umgehen, geht der Weg weiter; ansonsten ist hier ein Ende gesetzt und „wir bleiben, was wir sind“. Da wir uns als Freimaurer Selbsterkenntnis und Vervollkommnung auf die Fahnen geschrieben haben, erscheint die nähere Beleuchtung dieses Zusammenhanges sehr sinnvoll, um nicht zu sagen zwingend.

Um der Sache näherzukommen, habe ich den Brockhaus befragt, der u. a. folgendes sagt:

Weisheit: „Im Unterschied zur Klugheit menschl. Grundhaltung, die auf einer allg. Lebenserfahrung und einem umfassenden Verstehen und Wissen um Ursprung, Sinn und Ziel der Welt und des Lebens sowie die letzten Dinge gegründet ist.“

Zeit: „Das Nacheinander der Dinge, die Abfolge der Geschehnisse, erfahrbar als Aufeinanderfolge sowie Dauer von Veränderungen und Ereignissen in Natur und Geschichte.“

Unter dem Stichwort Zeit ist im Brockhaus natürlich wesentlich mehr vermerkt, handelt es sich doch um ein großes Mysterium der Menschen. Die Definition von Weisheit scheint außerdem eine gehörige Spur derselben zu benötigen, um zu einem tiefen Verständnis zu gelangen.

Die Definitionen lassen den Schluß zu, daß Erfahrung sowohl bei der Zeit als auch bei der Weisheit eine gewisse Rolle zu spielen scheint. Imanuel Kant meint zum Thema Zeit: „Die Zeit ist nichts Objektives, sondern die Form des inneren Sinnes. Eine Achse der Anschauung also, auf welcher der Mensch seine Erfahrungen ordne. Die Zeit entsteht im Kopf.“ Zu ähnlichen Schlüssen kommen auch heutige Wissenschaftler, wie zum Beispiel der australische Astrophysiker Paul Davies: „Die Zeit ist die Hintertür zum menschlichen Geist.“

Lange wurde angenommen, daß es so etwas wie eine kosmische Hauptuhr gäbe, die alle Geschehnisse ordne und aufteile. Albert Einstein hat mit diesem Paradigma gründlich aufgeräumt, und derzeitige Astrophysiker und Biologen kommen in ihren Forschungen, wenngleich von unterschiedlichen Ausgangspunkten, zu dem Schluß, den der belgische Physiochemiker Ilya Prigogine wie folgt formuliert: „Jedes Wesen lebt nach einer Eigenzeit, es folgt dem inneren Rhythmus, den es in sich erzeugt. Kein ferner Gott, sondern ein jeder Erdenwurm ist Schöpfer der Zeit.“

Was Albert Einstein schon 1955 sagte, „Die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hat nur die Bedeutung einer wenngleich hartnäckigen Illusion“, wird heute immer deutlicher und verständlicher. Das Wissenschaftsblatt „New Scientist“ kommentierte: „Die Physiker beginnen sich daran zu gewöhnen, daß es Zeitmaschinen doch geben könnte“.

Wenn wir die vorangegangenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Denkmodelle mit den Worten aus unserem Ritual vergleichen, stellen wir erstaunliche Übereinstimmungen fest. Die Mahnung, die Stunden des Tages weise einzuteilen und der Hinweis, daß nicht alle Menschen das gleiche Zeitmaß haben, deutet darauf hin, daß wir selbst unsere eigene, persönliche Zeit kreieren. Wir wären dann eben nicht der Spielball des Schicksals in einer für alle gleich ablaufenden äußeren Zeit.

Der Physiker und Kosmologe Stephen Hawking stellt Zeit, Raum und Materie in einen Zusammenhang, der letztendlich besagt, daß kein Zeitfluß vorstellbar ist, wo noch keine Materie war. Erst aus den Ereignissen erwachse die Zeit. Der Mensch hat es somit in der Hand, seinen eigenen Rhythmus aus seinem Inneren heraus zu leben und schafft sich durch seine Erfahrungen die individuell erlebte Zeit. Der konkrete Ausdruck des eigenen Denkens und Schaffens in der Materie würde somit die eigene Zeit erschaffen.

In dieser gedanklichen Folge rückt die Überzeugung Kants in ein geradezu existentielles Licht. Es ist danach von entscheidender Bedeutung, mit welcher Anschauung und Einstellung wir mit den Erfahrungen in unserem Leben umgehen und wie wir diese ordnen. Hier gibt uns das Ritual eine klare Richtschnur mit der Erklärung, daß wir dann unsere Zeit mit Weisheit einteilen, wenn sie es uns ermöglicht, ständig an unserer Vervollkommnung zu arbeiten. Weiter heißt es sogar, daß wir uns den Symbolen der geistigen Welt gegenüber sehen, wenn uns dies gelingt. Das deutet auf die Transzendenz hin, die es uns ermöglicht, die Grenze zwischen unserer materiellen Welt und der geistigen Welt zu durchbrechen.

Bevor wir uns der Frage zuwenden, was es praktisch für unser Leben bedeuten würde, mit weiser Zeiteinteilung ständig an unserer Vervollkommnung zu arbeiten, laßt uns über die mögliche Konsequenz, nämlich das Überschreiten der mit dem 24-zölligen Maßstab gekennzeichneten Grenze nachdenken bzw. vordenken.

Nehmen wir auch hier den Brockhaus zu Hilfe, der folgende Definitionen aufweist:

Transzendenz: „Das jenseits des Bereichs der sinnlichen Erfahrung liegende, das Jenseits.“

transzendent (lat. überschreitend):“Die Grenze der Erfahrung überschreitend, übersinnlich, übernatürlich.“

transzendental: „Bei I. Kant soviel wie vor aller Erfahrung gegeben, diese erst bedingend, unter transzendentem Blickwinkel, d.h. erkenntniskritisch gesehen, sind z.B. Raum und Zeit unserer Vorstellung von den Dingen, nicht den Dingen selbst zugehörig, d.h. ideal.

Und unter ideal bzw. Idealismus nachgeschlagen:

„Die Lehre, daß die Wirklichkeit nicht unabhängig von der geistigen Leistung des erkennenden Subjekts ist bzw. existiert.“

Daraus ergibt sich folgende Überlegung:

Wenn wir also durch weise Zeiteinteilung die Möglichkeit haben, die genannte Schwelle zu überschreiten, würden wir unter dem transzendenten Blickwinkel erkennen, daß es unsere Vorstellung von den Dingen ist, die Raum und Zeit erschaffen und unsere geistige Leistung unsere persönliche Wirklichkeit erschafft. Diese jenseits der sinnlichen Erfahrung liegende Erkenntnis könnte uns – siehe Definition des Begriffes „Weisheit“ – zu einem umfassenden Verstehen und Wissen um Ursprung, Sinn und Ziel der Welt und des Lebens sowie der letzten Dingen führen.

Nach meiner persönlichen Meinung haben wir die Möglichkeit, unsere eigene Wirklichkeit zu erschaffen und uns somit die Lebensumstände zu schaffen, die wir uns wünschen. Wenn wir unter diesen Grundgedanken unsere Zeit mit Weisheit einteilen, d.h. an ständiger Vervollkommnung arbeiten, sind wir auf dem Weg, der uns weiterführt und uns über die Schwelle zur Transzendenz bringt. Wenn wir diesen Weg gehen, wandeln wir auf transzendenten Pfaden, bewegen wir uns symbolisch auf dem musivischen Pflaster und erreichen, während wir Schritt für Schritt weitergehen, das Ziel. Ich finde es in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß das musivische Pflaster die gleiche schwarzweiße Struktur aufweist wie der 24-zöllige Maßstab.

Wie integrieren wir also das Transzendente in unser Leben, wie gehen wir mit dem Leben um, damit wir an ständiger Vervollkommnung arbeiten?

Meiner Überzeugung nach läßt sich ein „paradiesischer Geisteszustand“ erreichen, der uns mit der notwendigen Denkungsweise ausstattet, die Geschehnisse in unserem Leben in den richtigen Gesamtzusammenhang zu bringen. Mit diesem erkenntnisklaren Blick auf die Dinge, die mit uns und um uns herum passieren, kann ich innewohnende Lektionen begreifen, lernen und somit ständig an meiner Vervollkommnung arbeiten. Wie aber erreiche ich diesen Blickwinkel, der mich aus den Irrungen und Wirrungen zu tieferem Verständnis bringt?

Stuart Wilde, Psychologe und Bestsellerautor, hat einem seiner Bücher folgenden Titel gegeben:

„Das Leben war nie als Kampf gedacht – mehr wie ein Wandern durch ein sonniges Tal von einem Punkt zum nächsten.“

Dieser Buchtitel deutet schon an, in welche Richtung unsere Reise gehen sollte. Es liegt an mir, welche Einstellung ich dem Leben gegenüber bringe. Kämpfe ich ständig gegen irgendwelche Widrigkeiten an, muß ich viel erzwingen, spiele ich Spiele, die mein Ego mir aufgibt oder befinde ich mich in einem Prozeß des Fließens? Stuart Wilde definiert den großen Unterschied zwischen Kämpfen und Anstrengung so: „Die Bedingungen, unter denen wir als Menschen leben, erfordern Anstrengung, aber Kampf ist Anstrengung verbunden mit Aufregung und Verzweiflung.“

Was kann man in diesem Kontext von der Aussage halten: Der Mensch fängt dann an Mensch zu sein, wenn er aufhört sich zu beklagen? Ist es weise, wenn ich mich über die Unzulänglichkeiten und Hindernisse in meinem Leben beklage?

Vor ein paar Jahren war ich in einer sehr schwierigen Situation, von der ich Euch jetzt kurz erzählen möchte: Ich hatte eine Stelle angenommen als stellvertretender Geschäftsführer in einem Einzelhandelsgeschäft in Hamburg mit der Perspektive, dieses Geschäft in 5 bis 7 Jahren übernehmen zu können. Das Problem war jedoch, daß ich mich dort sehr unwohl fühlte. Die eigentliche Tätigkeit zeigte sich nicht als die, die ich mir vorgestellt hatte, und ich empfand die Anforderungen, die an mich gestellt wurden, als starken Druck.

Letztendlich, wie ich jedoch in Gänze erst im nachhinein erkannt habe, war es einfach nicht die richtige Stelle für mich. Genau das wollte ich jedoch mir selbst gegenüber nicht eingestehen, da die Chance das Geschäft zu übernehmen, verbunden mit gewissen Existenzängsten, übermächtig groß erschien. Ich biß also die Zähne zusammen und kämpfte. Nach drei Monaten zeigte mit mein Körper, daß ich offensichtlich auf dem falschen Dampfer war. Von heute auf morgen konnte ich mich mit rheumatischen Gelenkentzündungen nur noch an Krücken unter Schmerzen fortbewegen und war mehrere Monate arbeitsunfähig zu Hause. Nach drei Monaten kündigte mich mein damaliger Chef, und ich war nicht nur krank, sondern auch ohne Job.

Die Situation war augenscheinlich zum Verzweifeln, mir ging es aber psychisch gar nicht so schlecht. Das lag wohl daran, daß meine innere Stimme mir vor Monaten schon vermittelt hatte, daß der Weg, auf dem ich mich befand, nicht der richtige für mich sei, nur so richtig hingehört hatte ich dann doch nicht. Im Rückblick bin ich sehr dankbar, daß alles so gekommen war. Mein Leben hat sich im Zuge meiner Gesundung und Erweiterung meiner inneren gedanklichen Horizonte auf wunderbare Weise so positiv verändert, wie ich es mir wohl damals gar nicht hätte vorstellen können.

Es ist mir durch diese Ereignisse klar geworden, daß ich mir den Kampf und letztendlich auch die Krankheit hätte sparen können. Ich habe so gelernt, daß es absolut meine Entscheidung ist, in solchen oder ähnlichen, scheinbar schwierigen Situationen, einen sozusagen „hören Standpunkt“ einzunehmen. In dieser „Beobachterposition“ komme ich zu tieferem Erkennen und kann meine inneren Wahrheiten besser wahrnehmen.

Ich glaube, daß wir Menschen eine riesige Chance haben: Wenn wir die Verantwortung für unser Leben übernehmen, die Ursachen herausfinden, die uns in Situationen des Kämpfens gebracht haben und uns dann daran machen, sinnvolle Veränderungen in unserem Leben vorzunehmen, werden wir uns mehr und mehr in unseren persönlichen Lebensfluß begeben. So lernen wir die Lektionen, die wir zu lernen haben und schaffen uns mit unserer individuellen Zeit unsere individuelle Wirklichkeit.

Als Fazit möchte ich so zusammenfassen:

Wenn wir uns den Veränderungen anpassen, ohne Widerstand zu leisten, die aus dem Erkennen unserer Lektionen resultieren, verschwindet unsere kämpferische Einstellung, und Ausgeglichenheit, Ruhe und Harmonie kehren ein. Die Reflexion über meine momentane Wirklichkeit führt mich weiter und weiter auf dem Pfade des Erkennens und Handelns und zur Freiheit. Diese Freiheit äußert sich sowohl konkret in meinen äußeren Lebensumständen als auch als innerer Frieden in mir selbst in einem paradiesischen Geisteszustand. Ich habe dann die Schwelle überschritten, die mich von wahrhaftigem tiefen Erkennen trennt und den entscheidenden Schritt zu Transzendenz, zur Auflösung der Trennung zwischen oben und unten, zwischen geistiger und materieller Welt vollzogen und das Ziel erreicht. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn ich die Aussage „Der Weg ist das Ziel“ richtig begreife und mich Schritt für Schritt auf dem musivischen Pflaster, auf dem Pfad der Transzendenz, auf dem Wege stetiger Vervollkommnung bewege. Dann ist das Ziel erreichbar, hier und jetzt.