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Die freimaurerische Arbeit im Tempel ist der Höhepunkt im freimaurerischen Leben. Sinn dieser rituellen Arbeit ist es, uns in symbolhafter Weise immer wieder an die freimaurerischen Werte zu erinnern, uns den rechten Weg zu weisen. Wir werden ermahnt, unsere Arbeit am Rauhen Stein beharrlich fortzusetzen. Nach unserem Traditionsritual erhalten wir auf die Frage nach dem Ziel unserer Arbeit die Antwort: „Toleranz, unser höchstes Gebot aber ist die LIEBE“. Dieses wird dort noch in der Beantwortung der Frage nach dem Ziel unseres Bundes mit den Worten „Erziehung zu Toleranz und brüderlicher LIEBE“ wiederholt und verstärkt. LIEBE ist also, wenn ich das recht verstehe, und wenn man es so vereinfacht formulieren darf, für uns Freimaurer eine quasi höhere Form der Toleranz.

Das Thema LIEBE erscheint auf den ersten Blick einfach. Es handelt sich ja nur um einen Begriff, ein Wort, das wir entweder in dieser oder leicht abgewandelter Form, wie „liebevoll, liebenswert, lieblich, beliebt u.s.w.“ fast ständig im Munde führen. Wie stets in solchen Fällen macht man sich irgendwann die ersten Gedanken, überlegt, wägt ab. Man beginnt, sich eine Meinung zu bilden, erarbeitet sich gedanklich, wie man glaubt, einen festen Standpunkt. Alles erscheint klar, logisch, selbstverständlich zu sein. Doch je mehr ich mich damit beschäftige, je intensiver ich bemüht war, meine Gedanken zu Papier zu bringen, was wir Freimaurer unter LIEBE im Sinne unseres höchsten Gebotes zu verstehen haben, um so öfter kam ich ins Stocken. Was mir zuerst richtig erschienen war, das mußte ich nach reiflicher Überlegung wieder verwerfen. Was tut man in einer solchen Situation? Man verschreibt sich der Fachliteratur! Ich griff zu Büchern, las, und meine Unsicherheit, meine Probleme nahmen zu.

Zwei Schwierigkeiten ergaben sich gleich zu Beginn:

  1. Ist LIEBE eine Wissenschaft?Die Meinungen gehen auseinander. Es kam sogar vor, daß sich ein Autor selbst widersprach. Ein deutscher Philosoph drückte sich in etwa so aus:

    „Wenn der Wissenschaftler über die LIEBE zu reden beginnt, bewegt er sich zwischen Scylla und Charybdis. Hält er starr an der konventionellen Sprache der Wissenschaft fest, dann wird sein Bemühen ebenso unfruchtbar und vergeblich bleiben, wie es bei der Anwendung von wissenschaftlichen Begriffen auf das menschliche Zusammenleben charakteristisch ist“.

    In einem Essay über die LIEBE stellt ein anderer Philosoph fest, daß es ein Irrtum wäre zu glauben, es gäbe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über die LIEBE. Er beklagt die allgemeine Ansicht, daß angeblich jeder außer dem Wissenschaftler vorgibt, etwas über die LIEBE zu wissen. Diese allgemein verbreitete Haltung erschwere es, über dieses Thema zu verbindlichen Aussagen zu gelangen.

  2. Problem der Definition:Wann immer man sich mit einem Begriff auseinanderzusetzen hat, verlangt die Methodik zuerst seine Definition. Hier türmte sich vor mir eine unüberwindbare Klippe auf. Mit einem solchen Problem konfrontiert, holt man sich Hilfe im Wörterbuch. Hier einige Kostproben:

    Der Brockhaus sagt dazu: „LIEBE ist ein Sammelbegriff einer Vielfalt menschlicher Gefühlsbindungen, denen die rational nur unvollständig begründbare Wertbejahung unseres Objektes zugrunde liegt.“ Und fügt hinzu: „Fehlt der LIEBE bewußt der sexuelle Akzent, so nennt man eine solche LIEBE — Sympathie.“

    Aus den weiteren Ausführungen werdet ihr sehen, warum ich bereits der eigentlichen Definition schwer zustimmen konnte; der dann folgende Zusatz macht die ganze Sache undiskutabel.

    In einer älteren Ausgabe des gleichen Werkes findet sich ein noch weniger akzeptabler Definitionsversuch. Dort steht:

    „LIEBE im allgemeinen Sinne des Wortes ist das mit einem mehr oder minder lebhaften Wunsch des Besitzes verbundene Gefühl der Wertschätzung eines Objektes.“

    Meyer’s Lexikon versucht es gar auf m. E. nicht zulässige Weise, indem es

    „LIEBE als die dem Haß entgegengesetzte Zuneigung“ beschreibt.

    Der dann folgende Satz lenkt diesen mißlungenen Versuch einer Definition vollends in eine zumindest für uns unbrauchbare Richtung. Es heißt dort:

    „LIEBE ist eine seelische Bindung zu einer Person des anderen Geschlechtes und kommt durch instinktive Veranlagung zustande.“

    Wesentlich besser gefällt mir schon die Ansicht M. Scherer’s:

    „LIEBE“, sagt dieser, „ist kein Gefühl, sondern eine Werthaltung der Person, an die sich Gefühle anschliessen können“.

Der Grund für diese Definitionsschwierigkeit mag darin begründet sein, daß im Deutschen, wie in keiner anderen Sprache, unter dem Wort LIEBE ungeheuer viel subsummiert wird. Andere Sprachen bieten, wofür es bei uns eben nur dieses eine Wort gibt, eine ganze Palette zur Auswahl. Nehmen wir das Englische zum Beispiel:

love, devotion, affection, contentment, passion, fondness, charity, hearts’s delight …

Diese Aufzählung ist nicht komplett. Griechen und Lateiner unterschieden ebenfalls sehr klar zwischen eros und agape beziehungsweise amor und caritas. In der russischen Sprache gibt es einen Begriff, welcher zwar von dem Wort LIEBE abgeleitet ist, den gleichen Wortstamm, nur eine andere Endung hat; und schon bedeutet diese Wort nicht LIEBE im Sinne von „Gutheißen“, sondern lediglich „es ist gut, angenehm und erfreulich, Dich zu betrachten“. Quasi – LIEBE mit den Augen.

Es kommt ein weiteres hinzu. Wer immer sich die Frage stellte, was man unter LIEBE verstehe, beantwortete sie aus seiner Zeit heraus. Ich will erläutern, wie das gemeint ist:

Im frühen Mittelalter besaß die deutsche Sprache noch ein anderes seinerzeit gebräuchliches Wort mit eindeutig anderer Bedeutung, als Alternative zu LIEBE. Die Minne, d. h, die selbstlose, aufopfernde, meist einseitige und in jedem Falle unerfüllte Bewunderung und Anbetung einer weiblichen Person. Bis ins späte 15. Jahrundert war LIEBE nur ein Begriff im Zusammenhang mit Gott. In den darauffolgenden Jahrhunderten bestimmten Macht und persönliche sowie verwandschaftliche Bande, was LIEBE ist. Bei Machiavelli war der Inhalt des Begriffes LIEBE durch die politischen und moralischen Ansichten seiner Epoche geprägt. Die völlig neuen Probleme der Jahre nach dem ersten Weltkrieg waren Katalysator für die Freud’sche Analyse der LIEBE. Unsere heutige gesellschaftliche und soziale Struktur im kapitalistischen Westen, ihre sehr materialistische Lebensanschauung, hat zweifelsohne ein anderes Verständnis für die LIEBE geschaffen.

Über kaum ein Thema ist so viel und so vielseitig geschrieben worden, wie über die LIEBE, doch nie vollständig und absolut befriedigend. Trotzdem, es hilft alles nichts, ich muß, um weiterzukommen, den Versuch einer Wortdeutung vornehmen. Ich muß Farbe bekennen, muß meinen Standpunkt klären, sonst kann es nicht gelingen, die eigentliche Frage zu beantworten, die uns heute beschäftigt: Was ist das Ziel unseres Bundes? Was hat der Freimaurer unter LIEBE zu verstehen?

Auch ich kann es nicht in einem Satz und muß etwas ausholen:

LIEBE ist – per definitionem – lebensspendend und befreiend. Sie ist eine willentliche Bejahung des eigenen und auch des fremden Seins. Sie ist ein aus dem Verstand erwachsenes tiefes Verwandschaftsgefühl, daß ein jeder für sich erfahren muß. Die exakte Bedeutung wird entscheidend davon abhängen, welchen Reifegrad der Liebende erreicht hat. Sie wird also von Person zu Person unterschiedlich sein. Zweifelsohne ist die LIEBE eine der wesentlichsten menschlichen Regungen, gleichzeitig auch eine der komplexesten und daher schwer konkreter zu beschreiben.

Aus allen von mir zu diesem Thema gelesenen Büchern gefielen mir am besten die Gedanken von Erich Fromm in seiner Schrift über „Die Kunst des Liebens“. Nicht, daß ich allem zustimme. Aber da viele seiner Thesen und Ansichten weitgehend unserem Gedankengut entprechen, so daß man fast den Verdacht hegen könnte, Fromm sei ein Freimaurer, halte ich mich im folgenden an seine Ausführungen. Gelegentlich werde ich wörtlich Zitate übernehmen, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen.

Gehen wir davon aus, daß LIEBE eine Willensäußerung ist. Sie ist eine positive Bejahung des eigenen Ichs und des anderen Menschen. Oder anders ausgedrückt: Jemanden oder etwas lieben heißt, jemanden oder dieses Etwas „Gut“ nennen, zu ihm gewendet sagen: „Gut, daß es das gibt, gut, daß du auf der Welt bist“. Da dies eine Willenserklärung und nicht nur eine rhetorische Bemerkung ist, ist es kein unverbindlicher Aussagesatz, sondern engagierte Zustimmung.

LIEBE bedeutet nicht nur jemanden zu billigen, wie er ist, ihn stillschweigend und distanziert zu akzeptieren. Das nenne ich tolerierende Neutralität als bloßes Einverständnis. LIEBE dagegen ist gewollte Bejahung. LIEBE ist also eine Weise – zu wollen. Sie ist Handlung, eine aktive Tätigkeit.

Sehen wir die LIEBE als eine Tätigkeit an, Fromm bezeichnet sie sogar als Kunst, so sollte sie auch erlernbar sein, zumindest müßte es Anleitungen und Ratschläge dafür geben. Doch ehe wir uns dieser Frage zuwenden, wollen wir wissen, ob wir die LIEBE überhaupt brauchen oder ob sie nur eine angenehme Zeiterscheinung ist. Die Frage scheint banal und die Antwort darauf eindeutig zu sein. Sie ist jedoch m. E. wichtig, denn sie beweist, daß LIEBE nicht nur Voraussetzung der menschlichen Existenz ist, sondern und vor allem unabdingbare Notwendigkeit für ein friedliches Zusammenleben der Menschen.

Das spezifisch biologische Bedürfnis, das Verlangen nach der Vereinigung des weiblichen und männlichen Pols sind entscheidend für die Erhaltung der Art. Bedeutsamer ist, daß erst die LIEBE das universale, existenzielle Bedürfnis nach Einheit befriedigen kann. Nur die Fähigkeit zu lieben versetzt uns in die Lage, die menschliche Einsamkeit zu überwinden.

Der Wunsch, ja das Verlangen geliebt zu weren, ist jedem Menschen immanent. Die LIEBE ist ein Akt des Gebens, des Sichverschenkens. Dies verleiht der LIEBE eine besondere Macht: Die Macht, LIEBE zu erzeugen. Wer nicht lieben kann, ist zur Einsamkeit verdammt. Wer vereinsamt, verliert den Kontakt zu der Welt um sich, gerät in Gefahr, seine Menschlichkeit einzubüßen. Unbrüderlichkeit gegen andere, Haß gegen sich selbst, ist die unausweichliche, schreckliche Konsequenz.

Laßt mich Zwischenbilanz ziehen:
Ich habe versucht, das Wort LIEBE zu definieren, dann zu beschreiben mich bemüht, was wir Freimaurer als LIEBE verstehen sollten. Der nächste Schritt wäre zu untersuchen, wen sollen wir lieben, wer sollte das Ziel, Objekt unserer LIEBE sein. Der nun folgende Absatz ist ein wörtliches Zitat aus dem eingangs erwähnten Buch.

LIEBE ist nicht in erster Linie eine Bindung an eine bestimmte Person. Sie ist eine Haltung, eine Charakter-Orientierung, welche die Bezogenheit eines Menschen zur Welt als Ganzem und nicht nur zu einem einzigen „Objekt“ der LIEBE bestimmt. Wenn jemand nur eine einzige andere Person liebt und ihm alle übrigen Mitmenschen gleichgültig sind, dann handelt es sich bei seiner LIEBE nicht um LIEBE, sondern um eine symbiotische Bindung oder um einen erweiterten Egoismus. Trotzdem glauben die meisten Menschen, LIEBE komme erst durch ein Objekt zustande und nicht aufgrund einer Fähigkeit. Sie bilden sich tatsächlich ein, es sei ein Beweis für die Intensität ihrer LIEBE, wenn sie außer der „geliebten“ Person niemanden lieben. Es ist dies ein Irrtum. Weil man nicht erkennt, daß die LIEBE ein Tätigsein, eine Kraft der Seele ist, meint man, man brauche nur das richtige Objekt dafür zu finden und alles andere gehe dann von selbst. Man könnte diese Einstellung mit der eines Menschen vergleichen, der gerne malen möchte und der, anstatt diese Kunst zu erlernen, behauptet, er brauche nur auf das richtige Objekt zu warten, und wenn er es gefunden habe, werde er wunderbar malen können. Wenn ich einen Menschen wahrhaft liebe, so liebe ich alle Menschen, so liebe ich die ganze Welt, so liebe ich das Leben. Wenn ich zu einem anderen sagen kann: „Ich liebe dich“, muß ich auch sagen können: „Ich liebe in dir auch alle anderen, ich liebe durch dich die ganze Welt, ich liebe in dir auch mich selbst“.

Fromm unterscheidet vier Arten der LIEBE:
Nächstenliebe, Selbstliebe, erotische LIEBE und LIEBE zu Gott.

Da hier der begrenzte Versuch unternommen wird, herauszufinden, was LIEBE im freimaurerischen Sinne ist, so kann erotische LIEBE und LIEBE zu Gott im weiteren Verlauf der Betrachtung außer acht gelassen werden.

Fromm gelangt zu der Erkenntnis, daß Nächstenliebe ohne Selbstliebe nicht möglich sei. Ausgangspunkt und Beweis seiner Argumentation ist das Bibelwort: „LIEBE deinen Nächsten wie dich selbst“. Er widerspricht der sicher weit verbreiteten Meinung, es sei eine Tugend andere, jedoch eine Sünde, sich selbst zu lieben. Prominentester Verfechter dieser These war S. Freud. Verständlich, denn da für ihn Erotik die einzige Motivation für die LIEBE darstellt, und die Libido die ausschließliche Manifestation der LIEBE ist, muß er zwangsläufig zu diesem Ergebnis kommen und die Selbstliebe negativ bewerten. Fromm hingegen vertritt vehement die Ansicht, daß die Achtung vor der eigenen Integrität, die LIEBE zum eigenen Selbst untrennbar mit der Fähigkeit verbunden ist, den anderen zu verstehen. Selbstliebe wäre geradezu unabdingbare Voraussetzung für unsere LIEBE zu anderen Menschen, denn Nächstenliebe, so Fromm, ist die LIEBE zu allen menschlichen Wesen. Es sei geradezu kennzeichnend für sie, daß sie niemals exclusiv ist. Wenn sich in einem Menschen die Fähigkeit zu lieben entwickelt, könne er gar nicht umhin, als seinen Nächsten zu lieben. Die Nächstenliebe gründe sich auf die Erfahrung, daß wir alle eins sind. Wollen wir dies erkennen, so dürften wir nicht den Nächsten an seinem Äusseren, an den trennenden Unterschieden messen. Um seine Identität wahrzunehmen, müssten wir uns bemühen, bis an den Kern vorzudringen. Dann würden wir erkennen, daß wir alle Brüder sind. Mit einer dialektischen Argumentation bemüht sich Fromm, seinen absolut positiven Begriff der Selbstliebe zu verteidigen. Als Gegenpol zur positiven Selbstliebe sieht er die abzulehnende Selbstsucht. Wie zum Beweis fragt Fromm, ob denn Selbstsucht nicht geradezu eine Folge mangelnder Selbstliebe sei. Ich glaube, das ist etwas unbefriedigend, vor allem auch, da Fromm seinen Beweis in Form einer Frage formuliert.

Akzeptabler finde ich die Auffassung, daß sich die LIEBE zu anderen Menschen und die LIEBE zu sich selbst keineswegs ausschliessen. Die LIEBE zu anderen und die LIEBE zu uns selbst stellen keine Alternative dar; ganz im Gegenteil, man wird bei vielen, die fähig sind zu lieben, beobachten können, daß sie sich selbst lieben. Wenn es eine Tugend ist, seinen Nächsten als ein menschliches Wesen zu lieben, dann muß es doch auch eine Tugend und kein Laster sein, wenn man sich selbst liebt, da man auch selbst ein menschliches Wesen ist. Daß Fromm’s Begriff von Selbstliebe nichts mit Egoismus zu tun hat, ist eindeutig. Da er darunter eine grundsätzliche Bejahung des Ichs, der eigenen Existenz und somit in der LIEBE eine positive Lebenseinstellung erkennt, fällt es mir leicht, ihm zu folgen. Einige Schwierigkeiten hingegen bereitet mir die folgende These: LIEBE, so schreibt Fromm, ist keine Abstraktion, die auf die LIEBE zu einer bestimmten Person folgt. Sie gehe ihr vielmehr voraus.

Vielleicht ist eine streng philosophische Betrachtungsweise anzuwenden, um dieser Ansicht vorbehaltlos zustimmen zu können. Die erste LIEBE, so denke ich, begegnet dem Menschen in Form der Mutterliebe. Ein natürlicher Vorgang, keinesfalls bedacht, Gegenliebe zu erzeugen. Mutterliebe erweckt im Kind nur das Gefühl der Geborgenheit. Dieser so früh gelegte Keim beginnt zu sprießen, wenn eine Bezugsperson gefunden wird. Eben diese einem einzigen Partner zugewendete Intensität versetzt den Menschen auf einen Standort, von dem her ihm die Gutheit, die Liebenswürdigkeit aller Menschen, ja aller Wesen überhaupt zum ersten Mal unmittelbar einleuchtet. Ich will damit ausdrücken, erst „punktuelle“ LIEBE, in diesem Stadium sicher erst nur das, was man als Jugendlicher darunter zu verstehen glaubt, weckt in uns Wunsch, Verlangen und Fähigkeit zu lieben. Vielleicht kann ich Mutter Theresa als Zeugin für meinen Standpunkt aufrufen, denn sicher gab ihr erst die LIEBE zu Gott die Kraft, alle zu lieben.

Es ist nur folgerichtig, wenn Fromm die Nächstenliebe als eine LIEBE unter Gleichen bezeichnet. Diese Gleichheit sieht er allerdings nur darin, daß jeder von uns mal der Hilfe bedarf. Nur in diesem vorübergehenden Zustand der Hilflosigkeit sind wir uns gleich. In der selbstlosen Fürsorge um den Hilfsbedürftigen entfaltet sich die Nächstenliebe. So sehe ich auch die Armensammlung weniger als eine humanitäre Tat, als vielmehr eine symbolische Form der Mahnung und eine Aufforderung, im täglichen Leben im Hilfsbeürfigen unseren Bruder zu sehen.

Wir bezeichnen die Freimaurerei als eine königleiche Kunst. Da ich die fremde Meinung übernommen habe, daß auch die LIEBE eine Kunst ist, so muß ich mich fragen, welche Eigenschaften wir Freimaurer aufweisen müssen, die für die Fähigkeit zu lieben von spezifischer Bedeutung sind. Was ist unser Rüstzeug, was sollten unsere Werkzeuge sein, um lieben zu können?

Da ich die LIEBE als einen tätigen Akt verstehen will, so ist die Fähigkeit zur LIEBE abhängig von der charakterlichen Entwicklung des Betreffenden; von einer, wie schon vorher erwähnt, bestimmten Reife.

Fromm stellt drei Eigenschaften in den Vordergrund:
Vernunft, Demut und Objektivität.

Vernunft ist die Fähigkeit, objektiv, ohne Vorurteil, wir sagen „mit dem Senkblei in der Hand“, zu urteilen. Fehlt objektive Orientierung, bleiben wir ohne Verständnis für unsere Mitmenschen. Mangelt es uns an Objektivität, so wird es bereits schwer fallen, Toleranz zu üben, geschweige denn, den Nächsten zu lieben. Mehr noch, fehlende Objektivität, d. h. Dinge durch die verzerrende Brille der eigenen Wünsche und nicht so wie sie wirklich sind zu sehen, erzeugt nicht nur Angstpsychosen, ein bedauerliches Phänomen unserer heutigen Welt, sondern verhindert das eigene Ich in Einklang mit seiner Umwelt zu bringen.

Die der Vernunft zugrundeliegende emotionale Haltung ist Demut. Man kann objektiv urteilen, sich seiner Vernunft bedienen, wenn man gelernt hat, demütig zu sein. Demut, wie ich sie hier beschreibe, wird im freimaurerischen Bereich verdeutlicht durch einige bei der Aufnahme vermittelte Weisheiten und besonders durch die Forderung nach „erkenne dich selbst“.

Ich möchte noch eine vierte m. E. sehr wesentliche und unbedingt notwendige Eigenschaft hinzufügen: Wer lieben will, muß glauben können, denn LIEBE ist auch ein Akt des Glaubens. Wir müssen glauben, daß unser Leben einen Sinn hat, glauben, daß Leben auch Pflicht bedeutet, glauben an Gott oder einen Baumeister aller Welten. Glaube ist, das sage ich mit Überzeugung, Voraussetzung für unsere Existenz. In unserer Fähigkeit zu lieben erreicht unsere Existenz ihre höchste Vollendung. Wer nicht glaubt, kann nicht lieben. Es ist heute „in“, Angst zu haben. Es kann kein Zufall sein, daß viele dieser Ängstlichen ohne Glauben sind. Es ist nur folgerichtig, daß sie nicht lieben können.

Wenn wir im Ritual immer wieder zur LIEBE aufgerufen werden, so sehe ich darin eine Aufforderung zur Aktivität. Wir werden ermahnt, an uns, am Rauhen Stein unablässig zu arbeiten, uns zu vervollkommnen, damit in uns der Wunsch geweckt werde, zu geben. Hier ist nicht das Materielle gemeint. Nicht das Schenken im Sinne eines Opfers, sondern der zwischenmenschliche Bereich ist gefordert. Das kann Fürsorge, Verständnis, Interesse, Freude, Hilfsbereitschaft und Vertrauen sein.

LIEBE als Gebot der Freimaurerei ist Ausdruck inneren Produktivseins. LIEBE ist eine willentliche Bejahung des eigenen und fremden Seins. Sie ist eine ganz persönliche Erfahrung, die wir nur mit Vernunft und Demut, Disziplin und Beharrlichkeit erwerben werden. Nur mit Hingabe und offenem Herzen werden wir diesem Ziel näherkommen. LIEBE im freimaurerischen Sinne ist nicht etwas, was uns plötzlich überkommt, was uns wie eine Verzauberung widerfährt. Grundlage für die Praxis des Liebens ist die Aktivität der Sinne, des aus sich heraus Tätigseins. Die Fähigkeit zu lieben erfordert einen Zustand ständiger, intensiver Wachsamkeit und gesteigerter Vitalität. Die Kehrseite ist das Nichtlieben können, die prinzipielle Teilnahmslosigkeit.

Nicht nur andere, auch wir selbst sind Objekte unserer Gefühle und Einstellungen. Nur eine positive Einstellung zu uns selbst, zu unserem Leben, wird uns die Fähigkeit zur LIEBE erlernen lassen. Augustinus sagte: „Wenn du dich selber nicht zu lieben weißt, kannst du auch den Nächsten nicht in Wahrheit lieben“.

LIEBE ist ein Lebensquell. Was ist der Mensch ohne sie? In den „Brüder Karamasow“ läßt Dostojewski den alten Sossima klagen:

„Ihr Väter und Lehrer, was ist die Hölle? Ich denke,
sie ist der Schmerz darüber, daß man nicht mehr zu
lieben vermag.“

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