Kategorie(n): , ,

Verzeiht! Es ist ein groß Ergetzen
sich in den Geist der Zeiten zu versetzen
zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht
und wie wirs dann zuletzt soweit gebracht.

Diese Worte sagt Wagner zum Faust am Abend vor dem Osterspaziergang.

Ich habe diese Einleitung deswegen gewählt, weil erstens Goethe als Beginn eines Vortrages nie schlecht sein kann, besonders natürlich bei einem Thema über Genies und zweitens weil die Beschäftigung mit weisen Männern, die ich zunächst einmal als geniale Menschen bezeichnen will, mir auch ein „groß Ergetzen“ bereitet hat.

Ähnliches „Ergetzen“ scheint Schopenhauer empfunden zu haben, der als Zeitgenosse mit dem lebenden Goethe direkt zusammengetroffen ist und darüber in der Einleitung zu „Aphorismen zur Lebensweisheit“ schreibt:
„Damals aber ward mir zuteil was ich zu den erfreulichsten und glücklichsten Ereignissen meines Lebens zähle: denn jener in Wahrheit hohe Schmuck unseres Jahrhunderts und der deutschen Nation, der große Goethe, dessen Namen alle Zeiten im Munde führen werden, würdigte mich seiner Freundschaft und seines vertrauten Umganges.

Während Schopenhauer Goethe neidlos verehrt hat, scheinen andere Zeitgenossen dem Genie Goethe eher kritisch gegenübergestanden zu haben, weil Goethe selbst sagt:

„Hätt ich gezaudert zu werden, bis man mir mir`s Leben gegönnt,
Ich wäre noch nicht auf Erden,
wie ihr begreifen könnt,
wenn ihr seht, wie sie sich gebärden,
Die, um etwas zu scheinen,
mich gerne möchten verneinen.

So schrieb E.T.A. Hoffmann, den man wohl auch als genialen Menschen bezeichnen kann mit „Kater Murr“ eine Satire auf Goethes großes autobiographisches Werk „Dichtung und Wahrheit“.

E.T.A. Hoffmann vermeldet dem Publikum durch Kater Murr:
Mit der Sicherheit und Ruhe, die dem wahren Genie angeboren, übergebe ich der Welt meine Biographie, damit sie lerne, wie man sich zum großen Kater bildet, meine Vortrefflichkeit im ganzen Umfange erkenne, mich liebe, schätze, ehre, bewundere und ein wenig anbete … Der zum Höheren berufene Kater, von dem sein Vorbesitzer den Hang zum träumerischen Hinbrüten als Zeichen eines poetischen Gemüts und einer Disposition zum „Empfang genialer Gedanken“ rühmt, versäumt es dann auch nicht, die Idee der Autobiographie mit seine „Genialität“ zu rechtfertigen.

Sowie Goethe, sind, wie wir wissen, natürlich auch andere Persönlichkeiten, die wir als Genies bezeichnen, nicht nur kritisiert sondern in erheblicher Weise behindert worden. Ich denke da an Galilae, der öffentlich für das Weltsystem und die Lehre des ebenfalls genialen Kopernikus eintrat, das die römische Kirche verboten hatte. Er wurde in einem Prozeß verurteilt abzuschwören. Legende ist der Ausspruch von ihm: „und sie bewegt sich doch!“ Ich denke auch an Baruch de Spinoza, der mit dem Bannfluch seiner jüdischen Gemeinde belegt wurde.

Auch von Staat und Kirche wurden Genies oder geniale Menschen mit Repressionen und Zensur an ihrem Wirken behindert. Ich denke an Rousseau, Kant, E.T.A. Hoffmann. Auch Schiller erhielt nach der erfolgreichen Aufführung „der Räuber“ ein herzogliches Verbot jeder weiteren poetischen Betätigung. Sokrates und Senica sind dabei nicht zu vergessen, die auf staatlichen Befehl Selbstmord verüben mußten.

C.F.Gellert hat sehr zutreffend folgenden Vers geschrieben:

Daß oft die allerbesten Gaben
die wenigsten Bewunderer haben,
Und daß der größte Teil der Welt
Das Schlechte für das Gute hält…
Nie kennen sie den Wert der Dinge,
Ihr Auge schließt, nicht ihr Verstand:
Sie loben ewig das Geringe,
Weil sie das Gute nie gekannt.

Und Schopenhauer sagt: Das Beste, was jeder ist, muß er notwendig für sich selbst sein: was davon in den Köpfen anderer sich abspiegelt und er in ihrer Meinung gilt ist Nebensache und kann nur von untergeordnetem Interesse für ihn sein. Wer danach nur den Ruhm verdient, auch ohne ihn zu erhalten, besitzt bei weitem die Hauptsache ……. Denn nicht, daß einer von der urteilslosen betörten Menge für einen großen Mann gehalten werde, sondern, daß er es sei, macht ihn beneidenswert ……. daß in ihm sich Gedanken erzeugen, welche verdienen, Jahrhunderte hindurch aufbewahrt und nachgedacht zu werden, ist ein hohes Glück. „Das Leben der Helden und Genies wäre eine elende Existenz, wenn dessen Wert im Ruhme d.h. im Beifall anderer bestände“. Dieser Satz ist für die Betrachtung des genialen ;Menschen insofern interessant, weil hier Helden und Genies im engen Zusammenhang genannt werden. Der Geniebegriff im heutigen Sinne ist nämlich erst im 18. Jahrhundert geprägt worden. Davor waren die Persönlichkeiten, die sich durch hervorragende Leistungen aus der Menge der Menschen unterscheidend heraushoben oft Heilige oder Helden.

Es ist daher wohl angebracht eine Verständigung über den Begriff Genie zu versuchen. Im Brockhaus findet sich folgende Erklärung: Genie ist ein Mensch von schöpferischer Begabung, der im Unterschied zum Talent nicht nur im Rahmen des Überkommenen Vollendetes leistet, sondern neue Bereiche erschließt und in ihnen Höchstleistungen hervorbringt. Eine exakte Definition des Begriffes Genie ist schwierig, die Beurteilung genialer Leistungen ist von zeitbedingten Normen der beurteilenden Gruppe oder Gesellschaftsschicht abhängig. Nicht nur im musischen und denkerischen Schaffen, sondern auch auf vielen Gebieten der praktischen Wirksamkeit gibt es Genies. In der Klassik und Romantik wurde die Anschauung entwickelt, das Genie als der ursprünglich schöpferische Mensch sei die Vollendung des Menschen überhaupt. Sie wurde im 19. Jahrhundert zu der Lehre übersteigert, der Sinn der Geschichte der Menschheit liege in der Erzeugung von Genies. Im kleinen Brockhaus wird Genialität erklärt als die angeborene schöpferische naturhafte Geisteskraft, durch die in irgend einer Art menschlicher Tätigkeit das bisher darin Erreichte erheblich übertroffen wird.

Die Auffassung von Thomas Mann über den Geniebegriff läßt sich in seiner Erzählung „Schwere Stunde“ erkennen. Er schildert hier am Beispiel Schillers die quälende Schwierigkeit eines Künstlertums ohne naturhafte Begabung. In Goethe sieht er den naturhaft beglückten „Gesunden“ und inSchiller den sich in ungeheurer Willensleistung abringenden „Kranken“ dem jene naturhafte Genialität versagt blieb. Heroisch kämpft Schiller gegen die Schwäche der Natur an. Durch unerbittliche Willensanstrengung versucht er, der nicht von der Natur Gesegnete sein Defizit auszugleichen. Nur der Mangel an „Genie und Natur“ macht eine so verzweifelte Arbeitsmoral notwendig. Arbeitsdisziplin und der große an sich selbst gestellte Anspruch lassen Schiller dennoch zur Vollendung seiner Werke gelangen. Was ihm aber im ständigen Hinüberschauen zu Goethe schmerzlich bewußt wird, ist der Mangel an schöpferischer Naturbegabung: der Mangel an Genie. Soweit also Thomas Mann.

Bei allen unterschiedlichen Definitionen bezeichnet man praktisch immer ungefähr dieselben Leute als „Genie“ und nur bei den weniger Berühmten gehen die Meinungen auseinander.Wo aber ist der Unterschied zwischen Genies oder genialen Menschen oder hochbegabten oder talentierten Persönlichkeiten. Wie verhält es sich z.B. bei Persönlichkeiten wie Cäsar, Luther, Friedrich d. Große, Napoleon, Bismarck die immerhin einer ganzen Epoche ihren Stempel aufgedrückt haben. Wo würde man Columbus einordnen, der als unwissender Abenteurer, aber immerhin ein Mann von Phantasie, Mut und starker Energie durch große Glückszufälle Amerika entdeckt, das nach dem Kenntnisstand der Zeit über kurz oder lang auch ohne ihn gefunden worden wäre.

E. Kretschmer, Prof. F. Psychiatrie ist der Meinung, daß „Genies solche Persönlichkeiten sind, die abgesehen vom Genialen starke positive Gefühle im Sinne des Genusses oder der seelischen Erhebung beim Menschen hervorzurufen pflegen. „Genies“ nennt er solche Persönlichkeiten, die diese gesetzmäßig begründeten positiven Wertgefühle in einer breiten Gruppe von Menschen dauerhaft und in einem selten hohen Grade zu erzeugen vermögen. Genies nennt er sie aber nur, wenn diese Werte aus dem besonders gearteten seelischen Aufbau ihres Bringers mit psychologischer Notwendigkeit entsprungen, nicht aber wenn sie ihm in erster Linie durch Glückszufall und Zeitkonjunktur in den Schoß gefallen sind. Der innere Wert des genialen Menschen liegt also nicht in irgendwelchen willkürlich an ihn herangetragenen Normen moralischer oder ästhetischer Idealsetzung, sodern lediglich in der Tatsache, daß er durch Erbanlage Besitzer eines besonders gearteten seelischen Apparates ist, der in höherem Grade als andere ganz bestimmte positive Vital- oder Genußwerte hervorzubringen vermag. In diesem Sinne ist auch die Begriffsbestimmung des Genialen als origineller Neuleistung zu verstehen, die man besser durch den Ausdruck: „persönlich geprägte besondere Wertschöpfung“ ersetzen würde.

Bisher sind in meiner Zeichnung die Musiker, Maler und Forscher zu kurz gekommen. Es würde jedoch den Rahmen dieses Vortrages sprengen, wenn ich alle Persönlichkeiten, die wir als Genies bezeichnen erwähnen würde. Den berühmten Erfinder des Diesel-Motors Rudolf Diesel möchte ich jedoch zu meinem Thema zitieren. Er sagt: Auch die wirkliche Begabung bedarf der Förderung. Es gibt kein verlogeneres Sprichwort, als das vom Genie, das sich selbst durchringt. Von 100 Genies gehen 99 unentdeckt zugrunde und das 100derste pflegt sich nur unter unsäglichen Schwierigkeiten durchzusetzen. Aus dieser letzteren Tatsache zieht dann die Allgemeinheit den falschen Schluß, geniale Begabung sei immer mit einer ebenso großen Begabung für die Überwindung äußerer Schwierigkeiten verbunden, aber zwischen Genie und Lebenszähigkeit besteht nicht der geringste Zusammenhang. Viel wahrscheinlicher ist von vornherein die Annahme, die hervorragende Ausbildung des Genies nach der Seite der genialen Begabung lasse nicht mehr viel Raum für alle die Künste, die für den erfolgreichen Kampf um die äußeren Lebensnotwendigkeiten erforderlich sind. Logisch wäre der Schluß, wenn ein Genie sich durchringt, hat es mehr Schwierigkeiten als jeder andere Mensch sich, im Lebenskampf zu erhalten.

Robert Diesel ist später angeblich in Schwermut ertrunken und das möchte ich als Überleitung benutzen, um einen Aspekt zu beleuchten, der seit der Antike immer wieder behauptet wird. Es ist das geflügelte Wort: „Genie und Irrsinn“. Die Psychiater behaupten, daß zwischen Genialität und Geistesstörung ein teilweiser Zusammenhang besteht. Diese Behauptung ist zwar bedeutungslos für die Beurteilung der Genies und wohl auch nicht voll beweisbar, jedoch von den Genialen selbst gibt es einige Aussprüche, die scheinbar diese These der modernen Psychiatrie bestätigen. Senica soll gesagt haben: „noch keinen großen Geist gab es ohne Beimischung von Verrücktheit“. Von Schopenhauer stammt das Wort: „Das Genie steht dem Wahnsinn näher als der Durchschnittsintelligenz“ und Nietzsche schilt in heiliger Begeisterung die träge Menge, „Wo ist der Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden müßtet“. Aus diesen Aussprüchen auf eine Geisteskrankheit zu schließen ist sicher weit hergeholt. Bei Genies ist vielleicht eine erhöhte Sensibilität, geringe Anpassungsfähigkeit, Launen, Stimmungen und Verstimmungen vorhanden, die möglicherweise als krankhaft gedeutet werden könnten.

Von Goethe sagt man, daß von der ihm zugesprochenen olympischen Ruhe und Gelassenheit in Wirklichkeit nicht viel zu finden ist, sondern daß fortwährend seine Stimmungen wechseln, daß lange Zeiten geistiger Trockenheit und Dürre von Perioden allgemein seelischer und erotischer Erregung in einem gewissen geregelten Kreislauf unterbrochen werden. Ich sehe hierin allerdings keinen krankhaften Zustand, aber die Unterschiede zwischen den großen Dichtungen und den leichten Versen in den „Römischen Elegien“ werden mir dadurch verständlicher.

Ich möchte Euch nicht den Schluß zweier römischer Elegien vorenthalten, es heißt da

…..Näher haben wir das! Schon fällt dein wollenes Kleidchen,
so wie der Freund es gelöst, faltig zum Boden hinab.
Eilig trägt er das Kind, in leichter linnener Hülle,
wie es der Amme geziemt,
scherzend aufs Lager hinan.
Nehme dann Jupiter mehr von seiner Juno, es lasse
wohler sich, wenn er es kann, irgendein Sterblicher sein,
Uns ergötzen die Freuden des echten nacketen Amors
und des geschaukelten Bettes lieblicher knarrender Ton.

Eine weitere Elegie endet wie folgt:

Nicht das Mädchen entsetzt sich vor mir und nicht die Matrone,
häßlich bin ich nicht mehr, bin ungeheuer nur stark.
Dafür soll dir denn auch halbfußlang die prächtige Rute
strotzen vom Mittel herauf, wenn es die Liebste gebeut.
soll das Glied nicht ermüden, als bis ihr die Dutzend Figuren
durchgenossen, wie sie künstlich Philänis erfand.

Diese Elegien sind in Schillers „Horen“ einer von Schiller herausgegebenen Zeitschrift veröffentlicht, was Herder zu der Bemerkung veranlaßte: „Die Horen“ müßten nun mit einem „U“ gedruckt werden.

Wie wir gehört haben, wurde im 19. Jahrhundert die übersteigerte Meinung vertreten, der Sinn der Geschichte der Menschheit liege in der Erzeugung von Genies. Offenbar ist das nicht in unsere Macht gegeben. Schopenhauer sagt uns dazu: das einzige, was in dieser Hinsicht in unserer Macht steht, ist, daß wir die gegebene Persönlichkeit zum möglichsten Vorteile benutzen, demnach nur die ihr entsprechenden Bestrebungen verfolgen und uns um die Art von Ausbildung bemühen, die ihr gerade angemessen ist, jede andere aber meiden, folglich den Stand, die Beschäftigung, die Lebensweise wählen, welche zu ihr passen. Denn für das ganze Leben gilt unerbittlich Goethes Ausspruch:

Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen,
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
So sagten schon Sybillen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.

 

* * *

, ,