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Über die Operationalisierbarkeit von Ethik und ethischen Postulaten

 

Meine lieben Brüder, in der folgenden Abhandlung soll zunächst ein kurzer Abriß über Ethik und Moral gegeben werden, sowie die „Diskursethik“ kurz vorgestellt werden. Danach folgen ethische Dilemmata, in denen nach dem „richtigen“ Handeln gefragt ist. Im Anhang findet ihr die detaillierten Darstellungen und Anmerkungen zur Diskursethik und den genannten Dilemmata.

Ethik und Moral

Unter Ethik, als Teilgebiet der Philosophie (Vgl. zu den folgenden Ausführungen PEINTINGER, S.1ff. und LAY 72ff. und 94ff.) kann man die kontrollierte und reflektierte Rede über die Moral verstehen. Sie umfaßt die rationale, intersubjektiv nachvollziehbare Überprüfung der Prinzipien eines Regelwerks.

Moral ist die praktische Ausgestaltung der Ethik. In der Moral ist die Gesamtheit der Regeln, Werte und Normen festgelegt, die eine Gruppe (wie auch immer diese aussieht) für ihr Handeln mehrheitlich als verbindlich festgelegt hat. Eine Handlung innerhalb dieser Gruppe ist dann moralisch bzw. moralisch „richtig“, wenn die Qualität der Handlung mit den Regeln und Werten übereinstimmt.

Eine zentrale Frage innerhalb der Ethik ist: Gibt es grundlegende ethische bzw. moralische Normen und Postulate, die „vor aller Erfahrung allgemeine Geltung beanspruchen und somit gleichermaßen für alle Menschen verbindlich sind“? Ein Beispiel für ein ethisches Postulat finden wir im kategorischen Imperativ von Kant: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“. Weitere Beispiele sind die zehn Gebote der Bibel.

Ein neuerer Ansatz: die Diskursethik

Mit der Diskursethik sind die Namen Apel und Habermas verbunden (letzterer Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 2001, siehe Anhang für eine ausführliche Darstellung): Ethisch richtig bzw. gut ist, was eine Gruppe in einem offenen, diskursiven Prozess als ethisch richtig befunden hat. Oder, wie Habermas formuliert (Diskursgrundsatz): „daß nur die Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden (oder finden könnten)“

Die Vertreter der Diskursethik bestehen darauf, ein rationales Fundament der Vernunft allgemeinverbindlich bestimmen zu können. Die Diskursethik kommt also ohne „Rückfall“ in die Metaphysik oder Theologie aus, ohne die sich andere „letztverbindliche Wahrheiten“ bzw. ethische Postulate nicht begründen lassen. Naturgegeben sind daher vor allem Theologen Kritiker der Theorie.

Ausgewählte ethische bzw. moralische Probleme und Dilemmata

Ein Zitat lautet: „In der Moral wie in der Kunst ist Reden nichts, Tun alles“ (E. Renan). Das hört sich gut an, aber gerade dieses Tun kann ethische Probleme aufwerfen, die durch Handlungspostulate schwer aufzulösen sind, so zum Beispiel in ethischen bzw. moralischen Grenzbereichen. Wie verhält man sich z.B. ethisch korrekt, wenn „keine Zeit“ für den Diskurs da ist und die Problematik in der Gesellschaft vorher nicht diskutiert worden ist? Diese gilt besonders für die ersten beiden, von Br. Heinz-Georg aufgebrachten Dilemmata:

 

  • An einer abschüssigen Eisenbahnbaustelle ist ein Schienenwagen außer Kontrolle geraten und steuert auf fünf Gleisarbeiter zu. Sie werden sterben, wenn nicht jemand schnell eine Weiche umstellt, die den Wagen auf ein anderes Gleis lenkt. Allerdings befindet sich dort ein einzelner Arbeiter, der dann getötet würde. Soll man die Weiche umstellen? 

 

  • Ein anderes Szenario :Wieder rast ein Schienenwagen auf die fünf Arbeiter zu. Diesmal können sie nur gerettet werden, wenn man einen Mann, den man nicht näher kennt, vor den heranrollenden Wagen auf die Gleise schubst. Er würde dabei sterben, aber sein Körper würde den Wagen aufhalten. Soll man den Fremden auf die Schienen stoßen?

Eine Abwandlung der obigen Problematik:

 

  • Die fünf Gleisarbeiter sind zusammen, der Schienenwagen rast auf die Arbeiter zu. Die einzige Chance besteht darin, daß ein Arbeiter zur Weiche geht und diese umstellt. Dabei würde der Gleisarbeiter allerdings selber ums Leben kommen, die anderen vier wären gerettet. Soll man sich opfern? Wie wird die Gruppe handeln? 

 

  • Eine weitere Überlegung zu diesem Szenario: wie verhalte ich mich ethisch bzw. moralisch korrekt, wenn ich weiß, daß unter den fünf ein neuer Hitler (Stalin, Pol Pot, etc.) ist?

Ein weiteres Dilemma ist eine in den USA aktuelle und vieldiskutierte Problematik:

 

  • Darf ich jemanden ggf. foltern, wenn dadurch ein Anschlag verhindert werden kann und ggf. Tausende von Menschen gerettet werden können?

Nachstehend noch ein weiteres ethisches bzw. moralisches Dilemma, das sog. „Heinz-Dilemma“, ebenfalls von aktueller Brisanz (vgl. zum Beispiel die Problematik um die „AIDS“-Medikamente: Die Klagen von Pharmaherstellern gegen den Staat Südafrika):

 

  • Eine Frau, die an einer besonderen Krebsart erkrankt war, lag im Sterben. Es gab eine Medizin, von der die Ärzte glaubten, sie könne die Frau retten. Es handelte sich um eine besondere Form von Radium, die ein Apotheker in der gleichen Stadt erst kürzlich entdeckt hatte. Die Herstellung war teuer, doch der Apotheker verlangte zehnmal mehr dafür, als ihn die Produktion gekostet hatte. Er hatte 2000 Dollar für das Radium bezahlt und verlangte 20000 Dollar für eine kleine Dosis des Medikaments. Heinz, der Ehemann der kranken Frau, suchte alle seine Bekannten auf, um sich das Geld auszuleihen, und er bemühte sich auch um eine Unterstützung durch die Behörden. Doch er bekam nur 10000 Dollar zusammen, also die Hälfte des verlangten Preises. Er erzählte dem Apotheker, daß seine Frau im Sterben lag, und bat, ihm die Medizin billiger zu verkaufen bzw. ihn den Rest später bezahlen zu lassen. Doch der Apotheker sagte: „Nein, ich habe das Mittel entdeckt, und ich will damit viel Geld verdienen.“ Heinz hat nun alle legalen Möglichkeiten erschöpft; er ist ganz verzweifelt und überlegt, ob er in die Apotheke einbrechen und das Medikament für seine Frau stehlen soll: Sollte Heinz das Medikament stehlen oder nicht?

Überlegungen zur Ethik und den Dilemmata

Wie soll man sich also in den obigen Situation moralisch „richtig“ verhalten? Kann man (gerade unter Zeitdruck) eine „Maxime“ nach Kant finden, nach der man handeln kann? Wenn man die Diskursethik zu Rate zieht, so müßte man fragen, ob sich in diesen Situationen überhaupt ein diskursiver Prozeß durchführen läßt (wenn noch keiner statt gefunden hat)? Wohl eher nicht.

Auch ist die Frage, ob sich in einem diskursiven Prozeß in der Gesellschaft zu dieser Problematik überhaupt eine Antwort bzw. ein Postulat würde finden lassen (Kann man Menschenleben aufwiegen?) Eine endgültig Beantwortung der Frage muß man wohl für sich finden. Wichtig ist der Diskurs in der Gesellschaft aber trotzdem, ein Beispiel für einen solchen Diskurs kann der Konflikt der westlichen Pharmafirmen gegen Dritte-Welt-Staaten um Patentschutz von Medikamenten geben. Hier hat ein Diskurs statt gefunden, und beide Seiten sind gehört worden. Es läßt sich auch langfristig wahrscheinlich keine Lösung finden, ohne beide Seiten einzubeziehen (Vgl. den Spiegel-Artikel: „Phyrrussieg am Kap“)

Interessant sind auch wissenschaftliche Erkenntnisse über die Dilemmata:

  • Die beiden ersten „Schienenwagenszenarien“, wo jeweils ein „Fremder“ sterben würde, sind „hirnpsychologisch“ untersucht worden. Dabei kam heraus, daß Menschen „der Weiche umstellen“ zustimmen würden, aber nicht dem „Schubsen eines Fremden“. Merke: in beiden Fällen würde ein Unbeteiligter sterben. Die These ist, daß man bei der Weiche nur „ein Objekt“ bewegt, bei dem „Schubsen“ allerdings einen Menschen, was eine höhere „Emotionalität“ beinhaltet, wovor Menschen zurückschrecken (siehe Anhang). Wichtig ist hier, daß natürlich nur theoretische Handlungen untersucht wurden, wie Menschen in solchen Situationen tatsächlich handeln würden läßt sich empirisch natürlich nicht messen (das wäre ein ethisch nicht vertretbares Experiment).
  • Das dritte Szenario: „Einer der Gleisarbeiter muß sich opfern“ läßt sich mit der Theorie der strategischen Spiele Spiele bearbeiten: Dabei werden die gegensätzlichen Erwartungen der einzelnen Menschen betrachtet und dadurch Vorhersagen getroffen Die Spieltheorie sagt, daß die Spieler das „suboptimale Ergebnis“ wählen würden, in dem alle fünf Menschen sterben würden. Suboptimal heißt das Ergebnis, weil im „optimalen Ergebnis“ „nur“ einer sterben würde. Aber gerade diese Einteilung bringt uns ja die ethischen und moralischen Probleme, kann man Menschenleben quantitativ miteinander vergleichen?

Meine lieben Brüder, die Thematik konnte hier natürlich nur angerissen werden. Endgültige Antworten werden wir wohl nicht finden. Mögen wir hoffen, daß uns Situationen wie die oben beschriebenen weitestgehend erspart bleiben, und daß uns die Überlegungen über diese Problematiken helfen, in einer irgend gearteten Weise vielleicht „besser“ handeln zu können.

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Ausgewählte Quellen

Bücher:
  • Ackoff, Russell L.: „The Democratic Corporation“, Oxford University Press, New York, NY, 1994
  • Habermas, J.: „Einführung in die Diskursethik“, Suhrkamp, 1991
  • Lay, R.: „Ethik für Manager“, ECON, Düsseldorf, 1996
  • Peintinger, M.: „Grundfragen der Ethik“, Wien, o.J.
Internet:
  • Zu Diskursethik: http://www.learn-line.nrw.de/angebote/genbiotec/medio/550.htm
  • Zu den Dilemmatta: http://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/MORALISCHEENTWICKLUNG/
  • AIDS-Problematik: vgl. „Phyrrussieg am Kap“ http://www.spiegel.de/wissenschaft/0,1518,130171,00.html
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