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Begonnen hat alles mit dem Kennenlernen von Bruder Manfred J. Wir hatten gelegentlich beruflich miteinander zu tun, und es ergaben sich daraus auch private Gespräche, z. B. über die Frage, wie man sich sein Leben aufbauen sollte, bzw. welche Bedeutung man dem Leben geben kann.

Es wird vom Sinn des Lebens gesprochen, was doch aussagt, daß das Leben einen Sinn haben muß. Jedenfalls sucht jeder danach, und ich denke, daß auch jeder den Sinn des Lebens für sich entdeckt hat; viele allerdings wohl nur so lange, wie alles entsprechend den damit verbundenen Wunschvorstellungen verläuft. Geht etwas schief, hadert derjenige mit dem Schicksal, und wenn es arg kommt, geht er soweit, seinen Sinn des Lebens als verfehlt anzusehen, was sich dann ausdrückt in: Das Leben hat doch keinen Sinn.

Ich will diese Gedanken nicht vertiefen; sie können Stoff für eine gesonderte Zeichnung (Aufsatz) abgeben. Ich leite für mich ab, daß der Sinn des Lebens, vielleicht treffender gesagt, des Daseins, nicht darin liegen kann, daß sich Wünsche und Hoffnungen erfüllen – ich meine diejenigen materieller Art -, oder daß meine Nachkommen „einschlagen“ oder ich ein angesehener Mann bin oder werde. Dies alles wird von Umständen abhängig sein, die nicht nur in meiner Hand liegen, weil mir die Kraft fehlt, ich keine Möglichkeit habe oder ich sie nicht erkenne.

Ich möchte an dieser Stelle einem möglichen Mißverständnis vorbeugen und ausdrücklich betonen, daß jeder, allgemein ausgedrückt, danach strebt, erfolgreich zu sein, sein Bestes zu geben und für die Kinder, die Familie zu wollen. Dies ist – hoffentlich immer – positiv zu sehen und soll von mir nicht abgewertet werden. Nur, hat denn mein Leben keinen Sinn gehabt, wenn ich das, was ich schilderte, nicht erreicht habe, bzw. wenn sich dies nicht eingestellt hat? Das kann ich nicht akzeptieren. Ich möchte mein Leben gestalten und mich nicht damit abfinden, als wäre das Schicksal vorbestimmt. Ich sehe mein Leben darin, daß ich die mir mitgegebenen Fähigkeiten nutze. Dabei bedeutet es für mich nicht viel, daß Auge und Ohr sehen und hören. Viel wichtiger ist für mich das Erkennen der Schönheit der Natur oder der Schöpfungen der Menschen. Ich fühle mich beglückt und geborgen in diesem erkennen können und bin sicher, mein Leben wäre ärmer, wenn ich gerade diese Möglichkeit nicht nutzen würde oder könnte. Läßt einem das Leben immer Zeit, Gedanken und Freiheit für das, was man als Sinn des Lebens erkannt hat? Für mich ist dies viel zu wenig der Fall.

Darüber sprach ich mit Bruder Manfred J. Er sagte mir, daß er sich regelmäßig mit Freunden trifft, um ernste Gespräche zu führen, Gedanken auszutauschen, Neues kennenzulernen und eigene Gedanken zu erproben und fragte mich, ob ich nicht Interesse hätte, an solchen Treffen teilzunehmen. Natürlich hatte ich Interesse, und so kam ich dazu, Freimaurer zu werden.

Was konnte ich von der Freimaurerei erwarten?

Aus der Frage ergeben sich wohl ähnliche, aber doch andere Grundsätze/Grundwerte über den Sinn des Lebens. Dazu zitiere ich zunächst auszugsweise aus einem Informationsblatt der Johannisloge Am rauhen Stein „Vom Wesen und Aufbau der Freimaurerlogen“:

„Mit dem Beginn der Moderne bemißt sich der Wert eines Menschen am Marktwert seiner Arbeitskraft. Arbeit zu haben heißt nicht nur, Geld zu verdienen, für viele ist es auch ein wesentlicher Bestandteil ihres Selbstbildes. Der arbeitende Mensch entwickelt sich heute zum Spezialisten, verliert den Kontakt mit der Umwelt, wird einseitig und einsam. Verstärkt wird die Vereinsamung noch durch die allgemein zu beobachtende Auflösung des Familienverbandes. Die Überflutung der Sinne mit Informationen schränkt die Möglichkeit zur Entwicklung der sittlich und kulturell autonomen Persönlichkeit, die das Bildungsziel früherer Generationen war, mehr und mehr ein. Jetzt, da die „Ware Arbeitskraft“ zusehends weniger gefragt ist und viele anderen überkommenen Werte ins Wanken geraten sind, muß der einzelne Mensch sein Selbstbild dringend neu finden. Die Freimaurer können hier einen Weg weisen. Bei ihnen steht nach dem Leitsatz „Erkenne Dich selbst“ der Mensch im Mittelpunkt von Denken und Handeln. Das Auseinanderstrebende in der modernen Welt suchen sie im Rahmen ihres Bundes auf menschlicher und geistiger Ebene wieder zusammenzuführen.“

In seinem Aufsatz „Freimaurerei und Aufklärung“ (erschienen in Heft 8 Hanseatisches Logenblatt, April 1987, Seite 234) schreibt R. Appel:

„Bei der Freimaurerei ist es schwer, in ähnlich kurzem Satz eine aussagekräftige Definition vorzulegen. Vielleicht könnte man sagen, daß der Bund der Freimaurer, auf die menschliche Handlung bezogen, bezweckt, die sittliche Veredelung seiner Mitglieder zu fördern, das Wahre und Gute zu pflegen, die physischen und moralischen Übel dieser Welt zu vermindern, Toleranz zu üben gegenüber allen Mitmenschen und die Menschenwürde als höchstes Gut des Menschen anzusehen.“

Dr. Max Tau schreibt in einem Vorwort in dem Buch „Was ist Freimaurerei“ (erschienen als Taschenbuch im Bauhüttenverlag, erste Auflage 1970):

„Nachdem ich das Glück hatte, die Freimaurer zu erleben, erfuhr ich, daß sie Menschen sind, die danach streben, etwas zu tun, was über sie hinausweist. Sie haben das Talent, Brüder zu werden und den unverlierbaren Wert des Lebens, die Freundschaft zu erreichen. Als echte Humanisten kennen sie die Versuchung und die Abgründe, aber sie hören nie auf, Denken und Handeln in Übereinstimmung zu bringen. Denn sie wissen: Ohne Schmerz gibt es keine Güte, ohne den Mitmenschen ist ein sinnvolles Leben nicht möglich. Sie sind von der Hoffnung erfüllt, daß sie mithelfen, eine Welt zu erschaffen, in der Christus nie mehr gekreuzigt werden könnte.“

Und er zitiert Gotthold Ephraim Lessing:
„Sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind. Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen, ewigen Evangeliums.“

War ich bisher in meinem Denken und Wollen stärker auf mich bezogen, suchte und fand ich einen Lebenssinn, der mich – doch mindestens zu einem Teil – unabhängig von den Mitmenschen machte. So erfahre ich jetzt, daß Freimaurer wissen: Ohne den Mitmenschen ist ein sinnvolles Leben nicht möglich. Das bedeutet, den Mitmenschen zu suchen, ihm aktiv zu begegnen, vertrauensvoll, brüderlich. Den wesentlichen Punkt legt Stefan Zickler in seinem Aufsatz „Grundlage, Wesen und Aufgabe“ ( Taschenbuch „Was ist Freimaurerei“) wie folgt dar:

„Grundlage der Freimaurerei ist die Einsicht, daß alle mit den Menschen gegebenen Konflikte ausgetragen werden können, ohne sich zugleich zerstörerisch gegen andere Menschen zu richten, wenn nur ein ausreichendes Vertrauensverhältnis zwischen den Menschen verschiedener Überzeugung geschaffen werden kann,“ und weiter: „Freimaurerei versteht sich also als angewandte Humanität, die nicht organisiert oder aufgezwungen, sondern aus eigenem Entschluß im täglichem Leben praktiziert wird. Sie setzt voraus, daß Konflikte zwischen Menschen und Menschengruppen unvermeidlich sind, zeigt aber zugleich die Grenzen auf, in denen diese Konflikte ausgetragen werden können, ohne dem Ganzen zu schaden und damit selbstzerstörerisch zu wirken. Durch ihre besondere Methode der freimaurerischen Arbeit will sie schließlich erreichen, daß diese Grenzen nicht etwa wegen des moralischen Drucks der Gemeinschaft passiv hingenommen oder lediglich rational eingesehen und anerkannt werden; der einzelne Mensch soll sich vielmehr, in seinem Innern erschüttert durch das unmittelbare Erlebnis symbolhaft erfahrener Brüderlichkeit in den freimaurerischen Tempeln, auch frei und bewußt selbst wollen.“

Dies heißt für mich, daß der Sinn des Lebens nicht allein im Ausleben der von mir genannten Möglichkeiten des Erkennens der Schönheit von göttlicher und menschlicher Schöpfung bestehen kann, sondern in der aktiven Mithilfe, die bestehenden Konflikte unter den Menschen auszutragen und so dazu beizutragen, daß eine Welt entsteht, in der, wie Max Tau sagte, Christus nie mehr gekreuzigt werden könnte. Wenn mir das gelingen würde, dann könnte ich sagen, das Leben hat einen Sinn gehabt.

Bei meiner Aufnahme in die Loge „Am rauhen Stein“ habe ich auf die Frage „was kann die Loge von mir erwarten“ etwa geantwortet, daß ich die Ziele der Loge offensiv vertreten werde. Daran will ich mich im o. g. Sinn halten.

Was habe ich vorgefunden?

Ich habe in der Tat Menschen unterschiedlichster Auffassungen und Einsichten vorgefunden und erlebt, daß dies in Offenheit in brüderlicher Atmosphäre diskutiert wurde, ohne die Unterschiede der Auffassungen zu nivellieren. Aber ich möchte früher beginnen. Mein erster Eindruck war, daß man sich bemüht, die Zahl der Freimaurer zu vergrößern, die Bruderschaft auszuweiten wohl ganz im Sinne der von Lessing gefaßten Hoffnung. Und ich habe dann eine Aufnahme erfahren, die ich in ihrer Symbolik nicht verstanden habe und bis heute noch nicht ganz nachvollziehen konnte, die mich aber in anderer Weise entscheidend beeindruckt hat. Es war die spürbare Herzlichkeit, die mir von den vielen, die an meiner Aufnahme teilgenommen haben, entgegengebracht wurde. Diese Herzlichkeit hat auf meiner Seite ein starkes Vertrauen freigemacht.

Es kamen dann die Abende, an denen diskutiert wurde. Das hat mich zu ihnen hingezogen. Ich hatte es im ersten Abschnitt meiner Zeichnung ja ausgedrückt, daß es nicht gutgehen kann, seine Gedanken nicht mit anderen zu teilen, sie an anderen Gedanken zu erproben. Und erproben heißt dann auch, eigene Gedanken zu revidieren, wenn man erkennt, daß sie in die falsche Richtung gehen oder nur verwirren, anstelle klarzumachen. Es ist vielleicht häufig der Fall, daß richtige Gedanken gegeben sind; es fehlen die Präzision und verbindenden Gedankenglieder bzw. Richtungskorrekturen. Das Gespräch soll hier helfen, Einsichten zu wecken, denn ich meine, der Gedanke soll nicht verlorengehen, er soll ausreifen und klar werden. Gedankenvielfalt muß erhalten bleiben, nicht Gedankengleichheit erreicht werden, denn nur Gedankenvielfalt ist lebendig, sie gehört zum Wesen des Menschen. Damit meine ich Vielfalt nicht der Vielfalt wegen, es sei denn, sie dient einem lebendigen Disput. Ich meine die Vielfalt, die wesensmäßig und sicher auch erziehungsmäßig vorhanden ist. Ich erlebe diese Vielfalt an jedem Gesprächsabend in der Loge, und sie hilft mir ungemein; gibt sie mir doch sowohl Gelegenheit, andere und eigene Gedanken abzuwägen, als auch Gelegenheit, meine eigenen Gedanken zu prüfen, indem sie in das Gespräch eingebracht und beurteilt werden.

Man findet nicht alle Tage Menschen, die bereit sind, fremde Gedanken anzuerkennen; die helfen wollen, die Gedanken des anderen zu vertiefen, ihnen Gestalt zu geben und damit auch selbst zu verstehen. Dieses alles finde ich in unserer Loge, meine Brüder, und darüber bin ich froh.

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